Satellitenbilder von Susanne Riegelnik

Die Malerei von Susanne Riegelnik bezieht sich prinzipiell auf zwei Ebenen, welche die gesamte Bedeutungsstruktur in zwei divergierende Richtungen bestimmen. Einerseits arbeitet sie geographische Formationen, Stadtpläne, Landkarten als zeichnerische Basis für ihre Bilder auf, andererseits malt sie par excellence „malerische“ Strukturen, wobei die wiedererkennbare ursprüngliche Form eines Stadtplans oder einer Landkarte durch die Farbe und durch die koloristischen Spannungen völlig verschwindet, beziehungsweise nur als Erinnerung erscheint. Besonders die letzten Bilder zeigen die Tendenz zu einer immer malerischeren, immer weniger zeichnerischen Formauffassung auf, welche durch die Intensivierung der Farbwirkung realisiert wird.

Die geografischen Formationen und Stadtpläne wurden von Satellitenfotos dokumentiert, auf denen die verschiedenen zivilisatorischen Veränderungen wie zum Beispiel Umweltverschmutzung, Energieverbrauch, Dichtheit der Stadtstruktur, usw. als optische Phänomene erscheinen. Auf dem großen Bild, welches das Mittelmeer mit der Wasserverschmutzung zum Thema hat, werden die erschreckenden Flächen des verschmutzten Wassers als koloristische Phänomene malerisch aufgearbeitet. Die Künstlerin lässt die starken Farben miteinander konkurrieren; schwarze, gelbe, rote und blaue Farbfelder bilden die Grundstruktur des Bildes. Bei gewissen Details, wie zum Beispiel das Schwarze Meer mit dem Bosporus, lassen sich die völlig verschmutzten Buchten in einer sehr malerischen, expressiven Form zeigen, wobei die geographischen Formen hinter der Farbstruktur fast verschwinden. Die Wirbel des Wassers, die Bewegung der großen Flüsse, die das Meer völlig verschmutzen, die Strömungen des Mittelmeers zeigen ein fast katastrophales Bild des Urlaubsparadieses Mediterraneum, als quasi erschreckendes Modell für die ganze Umwelt.

Alarmierende Informationen, schockierende Tatsachen, die wir durch die neue Technologie der Umweltforschung immer intensiver nahegebracht bekommen. Fernsehbildschirme, Zeitschriften, Bücher zeigen uns täglich, wie die moderne Zivilisation die Umwelt systematisch zerstört. Wenn der Bildbetrachter diese Informationsebene wahrnimmt, muss er sich mit der Wirklichkeit der Zivilisation am Ende des Jahrhunderts auseinandersetzen. Aber das Bildnerische, das Koloristische wirkt doch stärker als die reine wissenschaftliche und soziologische Information: Wir sehen Bilder vor uns, welche Schönheit und Frische, Lebendigkeit und unkonventionelle koloristische Dynamik aufzeigen. Die expressiven, mutig farbigen Bilder wie das Mittelmeer oder Hawaii sind Ergebnisse der Auseinandersetzung mit dem Erbe des abstrakten Expressionismus und mit der informellen Malerei. In der Farbwelt sieht man auch die Spur der ersten Periode der Künstlerin, als sie die monumentale, dramatische Malerei von Hermann Nitsch kennengelernt und bei dem Künstler studiert hat. Auch den Hang zum großen Format hat sie sicher bei Nitsch gelernt: In diesem Zusammenhang sollte man auch feststellen, dass die Monumentalität der Farbe, welche oft mit einer präzis kontrollierten Reduktivität aufgetragen wird, ebenso aus der Dialektik der Quantität und Qualität der Farbintensität stammt.

Es gibt Bilder, die ganz große Farbflächen monochrom gestalten, um so größere Spannung in der Konfrontation der wenigen Farben zu geben. Schwarz, gelb, rot oder schwarz, blau, grün sind typische Farbkombinationen, welche ihre Bildwelt bestimmen. Auf einigen Bildern des ganz letzten Zyklus sehen wir eine immer stärkere Präsenz der schwarzen Flächen. Das USA-Bild ist ein schönes Beispiel für die Farbreduktion: auf einer schwarzen, dunkelblauen Grundfläche erschein die Karte der Vereinigten Staaten, mit schwarzen, dick aufgetragenen Farbstrichen. Die gelben Punkte und die kleinen "dripping"-Flächen zeigen eine "nächtliche" Aufnahme des Riesenlandes, wobei die Energienutzung die hellen, gelben Flächen bestimmt. Auf der dunkelblauen Grundfläche erscheint eine "Landkarte" von schwarzen gestischen Pinselstrichen, sie zeigt eine sehr malerische Oberfläche, wobei die geografische Information fast verschwindet. Man kann mit den Nachtaufnahmen über die amerikanischen Metropolen dieses Bild fiktiv vergleichen, wobei die wahren Formen der Architektur nur durch das Licht erkennbar sind, sie sind quasi "Negative". Dieses Bild repräsentiert auch die Zweideutigkeit dieser Malerei: einerseits ist sie völlig malerisch, von den Formen und Themen losgelöst, andererseits scheint sie manchmal fast illusionistisch zu sein. Illusionistisch in dem Sinne, dass die Bildoberfläche manchmal fotografieartige Objektivität aufzeigt. Plastizität, welche an mehrdimensionale Landkarten, oder noch mehr, an kartografische Aufnahmen erinnert.

Trotzdem, die Farbe dominiert die Bildwelt, welche gleichzeitig eine frische, unkonventionelle, dekorative Farblichkeit und eine zum Nachdenken zwingende Botschaft vermittelt: Schönheit und Zerstörung, Genuss und Zerfall kommen hier ganz nahe zueinander. Aus dieser ungewöhnlichen Nähe entsteht eben die Lyrik dieser Bilder, welche keinesfalls POLITISCHE oder PLAKATIVE Alarmsignale, sondern ganz einfach Bilder sind, mit Farben gestaltete Strukturen, die trotz ihrer Einfachheit die Ambivalenz des Sehens und die Mehrschichtigkeit der Interpretation beinhalten. Sie möchten nicht mehr sein als Bilder, welche alles - das heißt, auch das Negative, auch das Beunruhigende - aufarbeiten, und zu ihrer autonomen Farbstruktur umdeuten. Die Entdeckung der ursprünglichen Formation einer Stadt oder eines Kontinents gibt dem Betrachter "Material" nachzudenken, über die Beziehung zwischen primär bildnerischen Fakten und unser Wissen, unseren Kenntnissen, die vielleicht in einem anderen Zusammenhang wieder andere Bedeutung aufnehmen. Die einzige Realität ist und bleibt das Bild, das Farbmaterial, die Dimension der Farbflächen.

Dr. Lóránd Hegyi
Kurator Kunsthistoriker Autor
Co-Kurator Biennale Venedig 1993
Kurator Triennale Kleinplastik Fellbach 1995
Kurator Biennale Valencia 2003
Direktor MUMOK Wien
Direktor Musée d´Art Moderne, Saint-Etienne MAM

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