Weltwunder Stadt

In einer Welt der eingeschränkten Wahrnehmung und des Wirklichkeitsverlusts kann die moderne Kunst Mittel zur Bewußtmachung und zur Verdeutlichung von Zusammenhängen sein. Die Weltbilder Susanne Riegelniks bieten die Möglichkeit einer visuellen, malerischen Grenzüberschreitung: als Städtebilder oder in Form detaillierter Länderdarstellungen, die dem Bereich der Satellitenbilder oder der Kartographie entnommen sind. In den technisch sehr aufwendigen Arbeiten scheinen sozio-ökologische Themen wie Wärme, Strahlung und Umweltverschmutzung als Randthemen auf. Die Künstlerin zielt in ihren Billdern nicht bewußt auf Kritik ab. Sie konfrontiert den Betrachter mit ungewöhnlichen, unorthodoxen Methoden, an ihre Kunstwerke heranzugehen. Die Seele des Bildes zeigt sich als ästhetisches, aber auch als metaphysischesoterisches Phänomen.

Die entfremdete Umwelt, den Planeten Erde, den ganzen Kosmos als Einheit und in ihrem Zusammenhang zu verstehen, ist uns selbst in einer Zeit des technischen und medialen Fortschritts, der virtuellen Realität, nicht möglich. Äußerlichkeiten und Innerlichkeiten klaffen auseinander, die technischen Möglichkeiten überschreiten in ihrer Überblicks- und Grenzenlosigkeit den menschlichen Horizont. Zweifelhafte phantastische Welten tun sich auf, die die Vertrautheit mit der Irrealität voraussetzen.

Susanne Riegelniks Bilder sind wie eine Reise in eine vertraute, doch ferne Welt, ein Flug über abstrakte Landschaften, in der Entfernung und Nähe keine Rolle mehr spielen. Es sind Produktionen, die einerseits mit Handwerk, Kraft, Tradition, Realitätssinn, andererseits mit Fortschritt, Zukunft und Verständnis für mediale Wirklichkeit zu tun haben. Diese Bilder haben sich bewußt von der Emotionalität des Vertrauten gelöst; man ist nicht mehr verstrickt darin. Eine Aura der Freiheit und Unendlichkeit breitet sich aus. Hier geht es um den Umgang mit Sehgewohnheiten und Sichtweisen, um die Nähe von Nonsens und Utopie, um Widersprüchlichkeit, um die Beschreibung eines künstlerischen Kampfes, um selbstironisches Spiel gepaart mit routiniertem, künstlerischen Verfahren. Das Spiel mit der Verfremdung von Städteansichten und Lieblingsmotiven führt zu keinem stabilen, definitiven Bild, sondern bringt ständig wechselnde Stimmungen im Sinne vergänglicher Ästhetik mit sich.

Die Vorzeichnung mit Bleistift dient als technisches Gerüst, durch Druck werden Acryltropfen direkt aus der Flasche über die Malfläche dirigiert. Das bedeutet wochenlange Arbeit unter schwerem körperlichen Einsatz. Geballte Konzentration hundertfach wiederholter, gestischer Malbewegung. Ein Mikrochip einer technoiziden, rätselhaften Welt mit ungewisser Zukunft. Bewußte Negation aller Emotionalität, dadurch bewußte Infragestellung derselben.

Susanne ist gebürtige Ungarin, sie sprüht vor Temperament, ist ungeduldig, liebt das leichte, träumerisch-abgehobene Leben und experimentiert gerne. Das hat sie als Autodidaktin, aber auch später als Studentin bei Hermann Nitsch beibehalten. In der Kunst hat sie ihre eigene Bühne gefunden, auf der sie mit starkem Willen, mit Witz und Ironie wie ein Wirbelwind agiert, manchmal im Verlauf harter Arbeitsstunden meditiert und zur Ruhe kommt.

In ihren frühen Zeichnungen, antik-mytholigschen Serien, hat der Mensch noch keine eigene Geschichte, er ist starr und isoliert. Berechnung und Disziplin bestimmen sein im Grunde ängstliches Tun. Im Lauf der Zeit kommt Bewegung ins Spiel, die in malerisch rasanten, völlig abstrakten Ausbrüchen endet. Der Zwiespalt zwischen Äußerlichem und Innerlichen, die Bewältigung der Malerei läßt die Künstlerin erneut zweifeln, bis es 1994 ganz plötzlich zu einem völligem Bruch kommt. Es entsteht wie aus dem Nichts ein erstes Städtebild, ganz ohne Planung, gedankenlos: Paris, Landschaftsmalerei im modernen Sinn. Ein umgekehrtes Schauen setzt ein. Wie setze ich den Horizont, wie teile ich Himmel und Raum auf, wie kommt eines zum anderen?

In der Verdichtung von Städten und Ländern wird der Raum der Tatsache zu einem Raum der Illusion, in dem Helligkeit und Dunkelheit nicht mehr als Gut und Böse zu deuten sind.

Die Künstlerin nimmt ihren Städten und Landstrichen ihre Inhalte, sie haben keine Eigenschaften mehr, werden nicht mehr bewertet, weder nach ihrer architektonischen Handschrift noch nach ihrem sozialem Gefüge. Sie sind weder häßlich noch schön, weder arm noch reich. Sie erzählen keine Geschichten und haben selbst auch keine. Anhaltspunkte geben ihre abstrakten Bildtitel. Diese Werke zeugen in ihrer feinen Ästhetik von einer starken Einwirkung des Unterbewusstseins; in Ihnen spiegelt sich verhalten Verdrängtes und Beobachtetes wieder. Auf diesem Feld der Interpretationsmöglichkeiten hat der Mensch keine Bedeutung mehr. Es könnte in einer Welt, deren Dimensionen er nicht mehr erfaßt, die Kontrolle verlieren. Anonymität und Distanz als Schutz vor Intimität und Verletzbarkeit. So ist es sicherlich besser, nicht zu tief einzudringen und der Stadt ihre Eigendynamik und Autonomie zu belassen.

Eine Stadt als zivilisatorisches Gebilde ist nicht planbar, sie stellt sich ein. Ihre Strukturen sind vorbereitet oder ergeben sich zufällig, Die Definitionsversuche von Stadt operieren oftmals mit dem Begriff Organismus, der in seinem Wesen stetigen Veränderungen ausgesetzt ist. Stadtkörper räumen Chancen ein und bilden gleichzeitig Entwicklungs-Barrieren. Die Stadt ist als Utopie interpretierbar, als sich verselbständigendes Wesen und logistisches Agitationsfeld. Ein aus Strukturelementen zusammen gesetzter, pulsierender Organismus mit Eingeweiden und Adern, Flüssen, Inseln und Straßen. Ein Instrument einer höheren Ordnung, in Auflösung begriffen.
Auf Photographien von Projekten des weltbekannten Künstlers Christo begegnen uns ähnliche ästhetische Phänomene. Er dehnte das Spiel mit Stadtveduten und Motiven im Sinne eines Gesamtkunstwerkes unter Miteinbezug des Publikums und aller Medien immer weiter aus. Stand bei Christo die Ästhetik des Materials, ihre Veränderung inmitten der Gegebenheiten der Natur im Vordergrund, so gab es doch einen vorrangigen Faktor in seinem Werk, der mit Riegelniks Kunstgedanken konform geht: den der Vergänglichkeit, Formveränderung, Farbspiegelung, Bewegung, Licht, Wind, Schatten, die Symbiose von Natur und Technik, all das machte den Reiz seiner kurzfristig angelegten Projekte wie „Surrounded Islands“ ( mit rosa Planen überzogene Inseln ) Pont Neuf, Berliner Reichstag, u.a. aus. Luftaufnahmen zeigen diese Projekte.
Der Miteinbezug von künstlerischer Entfremdung, die Verschiebung von Bedeutungsebenen, die Betonung der sinnlichen Wahrnehmung und der abstrakt ästhetischen Wirkung, sind auch Anliegen von Susanne Riegelnik: Ihre Arbeit dient dem Experiment, alle menschlichen Belange, Philosophie, Politik, Psychologie, Vergangenheit und Zukunft in ihrer unterschiedlichen Bandbreite in Frage zu stellen und dennoch nicht überzubetonen.

Konsequent führt sie die Idee der Städtebilder und den damit verbundenen Abstraktionsgedanken weiter. Durch vermehrte Strukturgebung, starke Spachtelungen verstärkt sich der skulpturale Ansatz ihrer Malerei. In die neuesten Werke spielt die Diskrepanz von Körperlichkeit und Seele mit ein, was sich in extremer Farbgebung wie auch in Monochromie äußert. Helle Monochromien mit Strukturen, die wie Spuren eines Krebses auf nassem Sand verlaufen, poetische Bilder, die nach dem Prinzip beiläufiger Gelassenheit entstehen, die aufblühen wie Blumensträuße, explodieren wie Feuersbrünste, pulsieren, wachsen, sich schweben vom Betrachter entfernen. Die Frage nach einer spezifischen Sehnsuchtsform, hat Susanne in Form ironischer Hintergründigkeit gelöst. Sie verrät nichts und beläßt uns und sich selbst jede Möglichkeit, Grenzgänger zu werden oder in anderen Welten abzuheben.


Dr. Barbara Baum
Kuratorin STRABAG Kunstforum

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